Fluchtberichte


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Meine Flucht aus Ostpreußen

Von Rudi Schmidt, geboren 1933 in Jäglack


Eigentlich wollte ich diesen Bericht nicht schreiben. Zum einen habe ich diese schreckliche Zeit bislang immer aus meinem Leben verdrängt, weil mich das Erlebte zu sehr aufwühlte, zum anderen, weil es außer meiner Tochter niemanden wirklich interessierte. Da ich noch zur Erlebnisgeneration gehöre und Augenzeuge jener Zeit bin, will ich nun, nach sechsundfünfzig Jahren, meinen Kindern und Enkeln erzählen, was 1945 geschah.

Ich träum als Kind mich zurücke
und schüttle mein greises Haupt,
wie sucht ihr mich heim, ihr Bilder,
die lang ich vergessen geglaubt?
       (Adelbert von Chamisso)

Zu meinem Heimatort Jäglack gehörte auch das Gut Kollkeim. Jäglack liegt ganz im Norden des Kreises Rastenburg (Ketrzyn) zwischen Drengfurt und Barten. Die Gemeinde Jäglack (Jeglawki) hatte 1939 414 Einwohner. Wir gehörten zum Kirchspiel Drengfurt (Srokowo), aber zum Amts- und Postbezirk Barten (Barciany). Die nun polnischen Ortsnamen, soweit sie mir bekannt sind, setze ich in Klammern.

Kalt war es, mindestens zwanzig Grad minus. Im Osten war der Himmel nachts rot, und von Angerburg (Wegorzewo) her nahm der Kanonendonner jede Nacht an Stärke zu. Die auf der Chaussee nach Westen ziehenden Soldaten wunderten sich, daß die Jäglacker Bewohner noch nicht geflüchtet waren. Fliehen durfte man nur mit Genehmigung der Behörde. Die klugen Köpfe von der NSDAP sagten: "Aushalten! der Feind wird zurückgeschlagen!" Ein verhängnisvoller Irrtum, der viele Menschen das Leben gekostet hat. Die Bauern Wittke und Beyer, die es gewagt hatten, ein paar Tage früher loszufahren, wurden bei Korschen (Korsze) angehalten und zurückgeschickt.

Am Freitag, dem 26. Januar, nachmittags kam der amtliche Befehl von der Kreisleitung. Die Bewohner des Kreises Rastenburg sollten sich in den Kreis Braunsberg (Braniewo) begeben. Es dämmerte schon, als sich der Treck mit ca. einem Dutzend Wagen in Bewegung setzte. Voran die zwei Traktoren des Gutes, gesteuert von Schlosser Max Stumbries und Schmiedemeister Paul Schulz. Alle Tiere waren noch einmal gefüttert und getränkt bzw. losgebunden worden.

Da die Angerburger Chaussee durch das Militär verstopft war, nahmen wir den Landweg über Skandlack und Skandau in Richtung Schippenbeil (Sepopol). Eile war geboten, denn einer Sprengung der Alle-Brücke in Schippenbeil mußten wir zuvorkommen. Sämtliche Dörfer waren menschenleer, nur das Vieh hörte man in den Ställen brüllen. Wir fuhren die ganze Nacht hindurch und überquerten am Vormittag in Schippenbeil die Alle. Nachdem die Pferde gefüttert waren, ging es weiter in Richtung Westen, hinter uns immer die Front. Obwohl ich die meiste Zeit zu Fuß ging, waren meine Füße erfroren und ich war stark erkältet. In Juditten, Kreis Bartenstein (Bartoszyce) verweilten wir einen Tag. Da die Russen um einige Kilometer zurückgeschlagen waren, berieten die Männer, ob wir bleiben oder weiterfahren sollten. Man entschied sich für die Weiterfahrt.

Der 2. Februar 1945 - mein zwölfter Geburtstag - wurde für den Jäglacker Treck zu einer schrecklichen Tragödie. In der Scheune eines Gutshofes wurden wir nachts von deutschen Soldaten geweckt, da die Russen die Kampflinie durchbrochen hatten. Wir machten uns eilends auf den Weg in Richtung Landsberg (Gorowo Ilaweckie), Kreis Preußisch-Eylau (Bagrationowsk), heute zu Rußland gehörend. Die Straße war sehr verstopft, und es ging nur langsam voran. Ein dortiges Verpflegungslager wurde ausgeräumt. Wir stopften uns die Taschen voll Süßigkeiten und Kekse. Es war wohl um die Mittagszeit, als die ersten Häuser Landsbergs vor uns auftauchten. Jedoch in die Stadt hinein ging es nicht. Die Russen, von Süden kommend, waren schon da und schossen aus allen Rohren. Etwa zweihundert Meter nördlich sahen wir eine zweite Straße, die noch frei war und an Landsberg vorbeiführte, dazwischen ein gepflügter, verschneiter Acker. Alle Wagen fuhren über diesen Acker und versuchten, die andere Straße zu erreichen. Diese Straße lag aber etwas erhöht, und eine Böschung mußte überwunden werden. Die leichten Wagen, u. a. von Beyer und Jahnert, schafften das auch, die meisten aber nicht. Der vierspännige Gutsleiterwagen, den mein Vater vom Sattel aus lenkte, saß fest. Die Pferde waren getroffen und bluteten. Erika Borowski, 15 Jahre alt, traf ein Schuß in den Arm. Dank schnellen Eingreifens deutscher Soldaten kam sie in ein Lazarett. Vater reichte uns einen Koffer vom Wagen und sagte: "Lauft, ich komme nach". Aber dazu kam es nicht mehr, die Russen waren schneller. Mutter, meine Schwester Ella, sechzehn Jahre alt, und ich entkamen dem Inferno. Vater, Großvater Heinrich Konrad sowie etwa die Hälfte aller Jäglacker fielen den Russen in die Hände.

Meine Flucht dauerte vom 26. Januar bis zum 01. April 1945, das sind zehn Wochen. Wir schliefen nachts auf Guts- oder Bauernhöfen. Die heizbaren Wohnräume waren Frauen mit Kleinkindern vorbehalten. Bevorzugt wurden Stallungen, in denen noch Tiere lebten, denn dort war es am wärmsten. Manche Nacht gab es keinen Schlaf. Die Front war uns auf den Fersen, und die Straßen waren verstopft. Ich entsinne mich, daß wir drei Nächte hintereinander unter starkem Beschuß nicht von der Straße kamen. An den Treckwagen gelehnt, schliefen wir ein, und wenn der Wagen anfuhr, wurden wir wach. Gegessen haben wir, was wir in den Kellerräumen der verlassenen Häuser fanden, trotz der überall sichtbaren Plakate "Wer plündert wird erschossen"! Auf kleinen Feuerstellen am Straßenrand wurde gekocht. Dankbar bin ich noch heute der Wehrmacht, die uns aus ihren Feldküchen so oft versorgte.

Nach dem Verlust des Vaters in Landsberg verloren wir eine Woche später, am 09. Februar, auch unsere Mutter. Unser Nachbar, Tischlermeister Jahnert, lag im Sterben. Er hatte Durst. Da der Treck in einem Dorf bei Mehlsack (Pieniezno) nicht von der Stelle kam, machte Mutter sich auf den Weg, um etwas Trinkbares zu besorgen. Während ihrer Abwesenheit ging es weiter, und weil Mutter nicht da war und es schon dunkel wurde, fuhren die Jäglacker Wagen am Ortsausgang auf einen Bauernhof zur Übernachtung. Wir Kinder blieben an der Straße stehen und warteten auf Mutter. Mutter hatte aber, als sie sah, daß sich der Treck bewegte, in Panik das Dorf verlassen, war uns also vorausgeeilt. Erst acht Monate später sahen wir uns wieder! Zu Fuß kam sie schneller voran, wurde von Danzig-Neufahrwasser (Gdansk) mit einem kleinen Schiff nach Kolberg (Kotobrzeg) in Pommern gebracht. Dort traf sie Familie Berner, Frau Konrad mit drei Kindern und den Kriegsinvaliden Otto Held. Anfang März 1945 endete ihre Flucht in Tröbsdorf bei Weimar. Familie Berner kam nach Vieselbach bei Erfurt.

Ella und ich waren nun alleine. Die Eheleute Paul und Frieda Jahnert hatten sieben Kinder, dazu noch die Großeltern. Dennoch nahmen sie uns zu sich auf. Am 13. Februar, in Waltersdorf, Kreis Heiligenbeil (Mamonowo, jetzt russisch) starb der alte Herr Jahnert. Franz Borowski und Adolf Beyer gruben im gefrorenen Boden des Friedhofes ein Grab, dort wurde Walter Jahnert, in eine Wolldecke gewickelt, begraben. Ohne Sarg! Meister Jahnert hatte vorsorglich für sich und seine Frau besonders schöne Särge gebaut. Sie standen in Jäglack, ich habe diese Eichensärge selbst gesehen. In Schiewenhorst an der Weichsel starb Frau Borchert, die Mutter von Frau Beyer.

Unsere Flucht ging weiter. Da die Kampflinie von Süden bis nach Elbing (Elblag) vorgedrungen und wir eingekesselt waren, mußten wir nach Norden und erreichten am 17. Februar bei Heiligenbeil das Frische Haff. Dort mußten auf einem Flugplatz in der Nähe des Haffes alle Treckwagen entlastet werden. Riesige Berge mit nützlichen und unnützen Dingen türmten sich auf, eine Fundgrube für uns Kinder.

Wir fuhren auf das Eis, mußten aber bald wieder umkehren, weil der Beschuß durch Flugzeuge zu stark war. Die Pferde gingen durch. Der alte Gutskutscher Karl Walter hing unter einem Wagen und wurde mitgeschleift. Im Schutze der Dunkelheit, vorbei an vielen Bombentrichtern auf dem Eis, aus denen noch Wagendeichseln herausragten, erreichten wir am 19. Februar bei Neukrug die Frische Nehrung. Auch hier ging tagsüber das Bombardement weiter.

Wir zogen weiter, und meine Erkältung begleitete mich: über Kahlberg und Vogelsang, vorbei am Konzentrationslager Stutthof, überquerten mit einer Fähre die Weichsel, fuhren mitten durch Danzig (Gdansk), direkt an der Marienkirche vorbei, durch Zoppot (Sopot) nach Gotenhafen (Gdynia). Dort hing an einer Straßenkreuzung ein junger Soldat, vor der Brust ein Schild mit der Aufschrift: "Hier hänge ich, weil ich zu feige war, die Heimat zu verteidigen". Das gleiche sahen wir ein paar Tage später noch einmal.

Wir fuhren weiter, durchquerten in Pommern die Landkreise Lauenburg (Lebork) und Stolp (Stupsk). Es ging gut voran. Sollte das Kriegsgeschehen keine glückliche Wende nehmen - was wir immer noch hofften - war unser Fernziel Mecklenburg. Am 01. März waren wir im östlichen Teil des Kreises Usedom-Wollin. In der Ortschaft Katschow kam uns der Russe von Westen entgegen, und wir mußten zurück. Enttäuschung und Verzweiflung machte sich breit. Die Erwachsenen äußerten lautstark ihren Unmut über die Reichsregierung. Ich aber glaubte fest an den Endsieg. Unser Führer Adolf Hitler hatte doch in seiner Ansprache zum Jahreswechsel, die ich im Radio gehört hatte, versprochen, daß wir siegen würden. Neue Vergeltungswaffen würden eingesetzt, und der Sieg sei unser! Ein begeisterter Hitlerjunge wie ich war so naiv und glaubte das.

Wir mußten zurück nach Zoppot. Schwerer Artilleriebeschuß und Luftangriffe begleiteten uns. In Zoppot, in der Bülowallee 18, blieben wir wohl eine knappe Woche.

Die Front war nicht zu halten, und der Kessel um Danzig wurde immer kleiner. Alle Männer im Alter zwischen 16 und 65 Jahren mußten sich beim Wehrbereichskommando Danzig-Langfuhr dem Militär zur Verfügung stellen, so auch Franz Borowski, Adolf Beyer und Paul Jahnert, alle zwischen 50 und 60 Jahre alt. Pferde und Wagen mußten stehenbleiben. Frauen und Kinder wurden am 19. März mit einem Boot in den Industriehafen Danzig-Neufahrwasser gebracht.

In einer großen Lagerhalle am Kai, die mit Menschen überfüllt war, warteten wir auf das nächste Schiff. Schreckliche Gerüchte von untergegangenen Schiffen und verminter Ostsee machten die Runde. An kinderreiche Familien wurden für den bevorzugten Abtransport Berechtigungskarten ausgegeben. Frau Jahnert gab neun Kinder an. Wir bekamen die Karten, die wir deutlich sichtbar an der Kleidung tragen mußten. Am nächsten Tag, dem 21. März, machte das Lazarettschiff "General San Martin", aus Pillau (Baltysk) kommend, mit 2861 Verwundeten und 130 Flüchtlingen an Bord, direkt vor uns fest. Es sollte kinderreiche Familien an Bord nehmen. Eine riesige Menschenmenge drängte zum Schiff. Wir mit den Berechtigungskarten durften vorgehen. Doch bevor wir die Gangway erreichten, brach ein fürchterliches Feuergefecht los. Von Land und von der See her wurde mit schweren Geschützen in den Hafen hineingeschossen. Auch Flugzeuge waren zu sehen. Alle Flüchtlinge wurden in die Lagerhallen bzw. Kühlhäuser zurückgedrängt. Es gab Tote und Verwundete. Als der Beschuß endlich vorbei war, durften alle wieder hinaus. Das Schiff aber fuhr bereits ab. Alles weinte, denn wir hatten keine Hoffnung mehr, noch lebend herauszukommen.

Nun kam die Nacht. Wir lagen im vorderen Teil der großen Halle. An der hinteren Wand lagen u. a. Frau Schulz (die Lebensgefährtin und spätere Ehefrau von Franz Ott) und Frau Stumbries mit ihren Töchtern, Hannelore 12 Jahre alt und Bärbel etwa 8 Jahre alt. Wieder starker Beschuß. Eine Granate detonierte vor der hinteren Wand. Frau Stumbries und Bärbel waren tot. Hannelore war schwer verwundet und kam in ein Lazarett nach Hahnenklee im Harz, wo sie später starb.

Am 22. März, drei Tage bevor die Russen Neufahrwasser einnahmen, lag der Kohlendampfer "Hoheweg" an der gleichen Pier in Danzig-Neufahrwasser. Eine lange Leiter führte in den riesigen Bauch des Schiffes. Unten lag ein halber Meter Stroh im Schwitzwasser. Wir bestiegen das Schiff, und als Wegzehrung erhielt jeder ein Stück Pferdewurst und einen Kanten Kommißbrot. In der ersten Nacht wurde neben mir ein Kind geboren, aber ich schlief erschöpft so fest, daß ich nichts davon mitbekam. Dänemark war als Ziel vorgegeben, doch es kam anders. Wegen der verminten Ostsee ging es nur im Geleit anderer Schiffe vorwärts, aber nicht immer waren Geleitschiffe da. Flugzeuge griffen uns an, und unsere Bordkanonen schossen zurück. Wasserbomben verfehlten das Schiff, jedoch der Kapitän wurde an der Nase getroffen. Jeden Morgen wurden Tote über Bord gekippt, zumeist Kleinkinder und alte Menschen. Unsere Verpflegung war längst aufgebraucht, und hier gab es außer Malzkaffee, nach dem man lange anstehen mußte, nichts Eßbares. Links an Backbord sahen wir den Kreidefelsen der Insel Rügen. Zwei Tage später lag Rügen an der anderen Seite. Zu viele Minen und kein Geleit zwangen zur Umkehr. Endlich, am 27. März ankerten wir vor Swindemünde (Swinoujscie). Zu beiden Seiten legten Militärboote an, nahmen uns an Bord, und wir bekamen das erste Essen: Reis mit Rindfleisch. Ich werde das nie vergessen! Durch das Stettiner Haff gelangten wir nach Ueckermünde, wo wir in einer Schule unterkamen.

Am 30. März, auf dem Weg zum Bahnhof, verließ mich die Kraft , und ich brach an einem Baum zusammen. Nur mit Mühe erreichte ich den Zug. Nach zwei Nächten und zwei Tagen in der Eisenbahn trafen wir - Familie Jahnert, Schwester Ella und ich - am Abend des Ostersonntags, dem 01. April 1945, in Osterholz-Scharmbeck, nördlich von Bremen ein. Wir wurden von Bauer Prigge in Teufelsmoor aufgenommen. Dort hatten wir es gut. Jahnerts bekamen am anderen Ende des Dorfes Teufelsmoor eine Unterkunft. Nur zwei Wochen nach überstandener Flucht, am 14. April, starb Jahnerts jüngste Tochter Helga. Nur wenige Tage danach starb auch Oma Jahnert. Der guten Frau Jahnert gilt mein ganz besonderer Dank.

Unsere Flucht war nun zu Ende. Wir waren, wenn auch durch viel Strapazen, dem russischen Zugriff entkommen. Der Jäglacker Treck in seiner Gesamtheit bestand ab Landsberg nicht mehr. Wer ohne Wagen und Gepäck war, kam schneller voran. Kurt Konrad und Horst Rosengart z. B. hatten sich alleine durchgeschlagen und erreichten auf abenteuerliche Weise Westdeutschland. Beide waren damals siebzehn Jahre alt.

Am schlimmsten traf es diejenigen, die in Landsberg oder anderswo den Russen in die Hände fielen. Zu diesen Unglücklichen gehörten, soweit mir bekannt, Angehörige folgender Familien: Barz, Borowski, Gönnert, Kiesser, Lampert, Lehnert, Markowski, Nehrenheim, Neumann, Platz, Rogall, Rosengart, Sablowski, Schulz, Siegfried, Strohschein, Surminski, Tabel, Volkmann, Wittke und Zarkan. Auch mein Vater und mein Großvater waren dabei, von denen ich diese Namen und einige Begebenheiten erfahren habe.

Auf dem Rückweg von Landsberg nach Jäglack und auch in der Heimat traf die Brutalität der Rotarmisten die Zivilbevölkerung mit aller Härte. So wurde z. B. Müllermeister Paul Neumann grundlos erschossen und viele Frauen vergewaltigt. Mehrere junge Mädchen, u. a. Lenchen Barz, Edeltraud Platz und Gertrud Schönfeld, wurden nach Sibirien verschleppt. Fast alle Männer, die wegen ihres Alters nicht Soldat waren, wurden von den Russen deportiert. Darunter waren u. a. Gastwirt Otto Volkmann, die Bauern Bernhard Wittke und Franz Kretschmann, Maurer Gustav Platz, Gutsarbeiter Friedrich Nehrenheim sowie Schneidermeister Max Surminski und seine Frau. Er war unser Bürgermeister. Sein Sohn, Arno Surminski, hat später in seinem Roman "Jokehnen" die Russenzeit ausführlich dargestellt.

Mein Vater, August Schmidt, wurde mehrmals verhaftet und in Rastenburg eingesperrt. Daß er überlebte, ist wohl dem Umstand zu verdanken, daß er die russische Sprache beherrschte, da er in Wolhynien geboren war. Vater und Großvater wurden, nachdem der südliche Teil Ostpreußens Polen zugeschlagen war, am 12. Dezember 1945 mit den meisten Jäglackern ausgewiesen. Nach zehntägiger Fahrt im Güterwagen, unterwegs mehrfach ausgeraubt, landeten die, die diesen Transport überlebt hatten, Weihnachten 1945 in Brandenburg an der Havel in einem von Typhus verseuchten Lager. Anfang 1946 wurden die Jäglacker in das Lager Eisenberg in Thüringen verlegt.

Vermittelt durch den Suchdienst des Roten Kreuzes, trafen Vater und Großvater Ende März 1946 in Empelde bei Hannover ein, wo Mutter, Ella und ich bei unserem Vetter Edmund Kempfert seit dem 03.10.1945 wohnten. Nur Bruder Heinz war noch bis 1948 in russischer Kriegsgefangenschaft. Unser ältester Bruder, Kurt, war bereits am 26. Februar 1944 im Baltikum gefallen.

Was ich hier aufgeschrieben habe, ist ein lückenhafter Abschnitt meiner ganz persönlichen Erlebnisse. So oder ähnlich ist es damals vielen Menschen ergangen. Leider wird dieser Teil der deutschen Geschichte heute totgeschwiegen. Lehrern und Politikern ist dieses Thema nicht genehm. Ich habe die Schrecken jener Zeit überwunden, aber vergessen kann und werde ich nicht.